Werlte im 2. Weltkrieg

 
 

Home
Gemeinde Werlte
Frühgeschichte
Kloster Corvey
1. Weltkrieg
2. Weltkrieg
Polit. Zugehörigkeit
Wirt. Entwicklung
Bevölkerung
Siedl.- u. Str.bau
Forstgeschichte
Waldstätten
Jadggeschichte
Dorferneuerung

-eine Aufzeichnung über die letzten Kampftage in Werlte-
(aus dem Heimatbuch: Werlte, Beiträge zur Ortsgeschichte, herausgegeben vom Heimatverein Werlte. Autoren: Hermann Droste/ Joseph Meyer)

Mein Heimatort Werlte liegt an der Grenze des Kreises Aschendorf-Hümmling und des Oldenburgerlandes. Er hat rund 3.000 Einwohner. Davon sind drei Fünftel Landwirte und zwei Fünftel Handwerker und Gewerbetreibende. Verkehrsmäßig ist Werlte durch die Verbindungsstraße Lathen – Werlte- Cloppenburg erschlossen sowie durch die Kleinbahnstrecken Werlte- Lathen und Landesgrenze – Cloppenburg.
Wie auch andere Hümmlinger Orte wurde unser Heimatdorf 1945 in das Kriegsgeschehen hineingerissen. Nachdem am 10.April 1945 noch Angriffs – und Abwehrkämpfe wechselten, brauste die Front, von Westen kommend, am 11.April über mein Heimatdorf hinweg.
Verstärkter Druck am Niederrhein und im holländischen Raum, dazu der heftige Tieffliegereinsatz im rückwärtigen deutschen Nachschubgebiet, ließen schon in der zweiten Märzhälfte auf einen bevorstehenden Durchbruch der alliierten Streitkräfte durch die deutsche Front in ostwärtiger Richtung schließen. Der gesamte Raum Westfalen, das Osnabrücker Land und das Emsland lagen vollkommen unter der Kontrolle der alliierten Luftstreitkräfte. Tag und Nacht beschossen feindliche Jagdflugzeuge die Bahnhöfe und die auf offener Strecke fahrenden Personen – und Güterzüge. Selbst die Kleinbahnen wurden nicht verschont. So wurde auch ein auf dem Werlter Bahnhof abfahrbereiter Personenzug beschossen. Bei diesem Angriff waren zwei Tote und fünf Schwerverletzte zu beklagen. Die Namen der Toten sind:
Ehefrau Helene Mönster, geb. Schwarte und Elisabeth Bennecke, geb. Aubke aus Osnabrück, Uhlandstr. 2. Verletzt wurden: Frau Lisa Schnee, Osnabrück; Käthe Wimberg, Werlte; Bauer Knoll, Rastdorf; Bauer Göken, Harrenstätte und ein russischer Werbeoffizier Nikolai Shartow.
Bei einem anderen Tieffliegerangriff kamen einige Volkssturmmänner, die mit einem Lastzug der Hümmlinger Kreisbahn von Lathen nach Werlte fuhren, in der Nähe von Rupennest ums Leben. Es waren : Heinrich Thaben und Heinrich Langemeyer aus Werlte. Schwer verletzt wurde H. Rolfes aus Lahn.
In dieser Zeit waren deutsche Volkssturmeinheiten zur Unterstützung der Wehrmacht zum Anlegen von Drahtverhauen und Panzersperren eingesetzt. Die Zivilbevölkerung, die somit in das Kriegsgeschehen hineingerissen wurde, konnte den Ernst der Lage zunächst noch nicht voll erfassen. Ein Teil glaubte noch immer an das Geschrei der Presse über den Einsatz von geheimen Waffen, andere, die zwar wussten, dass der Krieg verloren war, waren optimistisch, dass der Feind nicht durch unser Gebiet mit seinem unwegsamen Gelände und schlechten Straßenverbindungen kommen würde.
Als nun aber am 19. März 1945 der Volkssturm an den Ausgängen meines Heimtortes nach Sögel, Lorup, Wehm und Bockholte Panzersperren errichtete, erkannte man den Ernst der Lage.
Zur Aufstellung ( des Volkssturms) ist folgendes zu bemerken: Am 23. Oktober 1944 fand gegen 10 Uhr ein Erfassungsappell des Volkssturmes auf dem Sportplatz statt. In Werlte wurden zwei Kompanien gebildet. Bataillonsführer war Rektor Helmke und Kompanieführer der beiden Kompanien waren Pferdekaufmann Wilhelm Jansen und Landwirt Heinrich Kösters, beide aus Werlte. Auf die Frage des Ortsgruppenleiters Hesekamp: „Wer meldet sich freiwillig ? Der trete vor „, blieb jeder auf seinem Platz. Somit waren alle der Volkssturmeinheit angegliedert. Am 12. November 1944 fand dann die Vereidigung statt.
Seit dem 21.März 1945 stand der Kreis Aschendorf-Hümmling in höchster Alarmbereitschaft. Die Ortsgruppenleiter und die Bataillonsführer des Volkssturmes hatten sich am Telefon bereit zu halten. Je mehr der Volkssturm von höherer Stelle zum Einsatz befohlen wurde, desto mehr stieg die Spannung im Volk. Die Gefahr eines Durchbruchs in unser Gebiet drohte, wie mitgeteilt wurde. Auch zahlreiche Abordnungen der oberen Behörden deuteten darauf hin. Das Wehrmachtskommando Lingen und das Wehrmeldeamt Meppen richteten Quartiere in Werlte ein. Die Zivil – und Militärgefangenen wurden in Lagern gehalten, um der Gefahr eines Aufruhrs wirksam begegnen zu können. Wie verwirrt die zuständigen Stellen waren, zeigte sich daran, dass man die durch Hunger und schlechte Behandlung erschöpften Strafgefangenen aus dem Lager nach Werlte marschieren ließ und diese am folgenden Tag die gleich Strecke zurückmarschieren mussten. Durch diesen sinnlosen Befehl kamen mehrere Gefangene ums Leben. Als der Befehl kam, die Brennereien müssten ihre Vorräte an Alkohol vernichten, gab die Firma Deitermann & Henseler pro Person eine Flasche Alkohol ab, damit der Bestand nicht so sinnlos vergeudet würde. Die Angst und die Besorgnis über das Bevorstehende wuchs von Tag zu Tag. Der Volkssturm stand in dauernder Alarmbereitschaft, und die Panzersperren ergänzte man durch Abschußlöcher für die Panzerfäuste und durch Maschinengewehrstände.
In den ersten Apriltagen war die Widerstandskraft der deutschen Truppen im Westen gebrochen. Alliierte Truppen setzten zum Durchbruch an. Sie stießen über Rheine bis Lingen und aus dem holländischen Raum bis an die Ems vor. In der Nacht zum 4. April 1945 hörte man das Sprengen der Emsbrücken. Aber auch diese sinnlosen Zerstörungen  - man kannte die Aussichtslosigkeit der Lage auf deutscher Seite – konnten den Feind nicht aufhalten.
Die zurückflutenden deutschen Truppen durchquerten unseren Heimatkreis. Diejenigen, die noch immer an eine Wende des Kriegsgeschehens geglaubt hatten, waren sich nun ihrer falschen Einschätzung bewusst. Von deutscher Seite warf man die letzten Reserven in den Kampf. Ein Offizier einer Fallschirmjägerdivision brachte unserem Bürgermeister den Befehl, dass Werlte bis zum letzten Mann verteidigt werden sollte. Der Bürgermeister lehnte die Verantwortung ab und sagte, er werde, falls dieser sinnlose Befehl ausgeführt werde, sein Amt niederlegen. Wilde Gerüchte, der Feind sei schon über Lathen nach Sögel vorgestoßen, brachten immer größere Verwirrung. Geschäftsleute von Werlte begannen zum Teil, ihre Waren frei zu verkaufen. Deutsche Truppen kamen und gingen. Das Dorf war von Soldaten voll gestopft. Aber der größere Teil bestand aus sich absetzenden, aufgelösten Einheiten. Viele Soldaten durchzogen ohne Waffen auf Fahrrädern und Pferdefahrzeugen und – fuhrwerken unser Heimatdorf. Alle machten einen hilflosen Eindruck.
In diesen Tagen wurden von den Behörden Lebensmittel verteilt. Man erhielt pro Kopf ein Pfund Butter, ein Pfund Honig, ein Pfund Nährmittel, drei Kilogramm Zucker, drei Kilogramm Mehl und die achtfache Menge an Kalbfleisch. Als Ausgleich dafür beschlagnahmte die Wehrmacht Fahrräder und andere Verkehrsmittel. Am 8. April kam dann die Nachricht, dass der Feind von Meppen auf Sögel vorgestoßen sei. Auf diese Kunde hin brach in Werlte eine Panikstimmung aus. In aller Eile begannen Einwohner mit dem Vergraben und Verbergen von Gegenständen. Die notwendigsten Dinge wie Betten, Kleider, Wäsche und Lebensmittel wurden auf Wagen verpackt, um damit im Notfall schnell wegkommen zu können. Sehr viele Einwohner waren kopflos, da sie sich noch nie in einer solchen Lage befunden hatten. Außerhalb des Dorfes wurden Bunker gebaut und Zufluchstätten für die herannahende Kampfzeit vorbereitet. Eine solche Zufluchtstätte war auch unsere Feldscheune, in der noch etwa 10 Fuder Garben aufgeschichtet lagen. Diese Garben wurden an den Seiten der Scheune so aufgepackt, dass dazwischen ein Raum entstand, der kugelsicher war . Am 9.April rückte nun der Feind, nachdem er Sögel im Kampf genommen hatte, über Harrenstätte und Ostenwalde auf Werlte vor. Die Sprengkommandos der Wehrmacht sprengten jede Brücke, um möglichst viele Verkehrshindernisse zu schaffen. Die Sprengung der Brücke über die Mittelradde bei Wieste war zu früh erfolgt, sodass sich viele Soldaten über Wachtum und Lindern zurückziehen mussten.
In und um Werlte herum herrschte in diesen Tagen Hochbetrieb. Immer mehr deutsche Truppen trafen ein und gingen am Ortsrande in Stellung. Marineinfanterieeinheiten , die als Sicherungstruppen eingesetzt waren, wurden zurückgezogen und durch SS- Fallschirmjäger abgelöst. Diese übernahmen dann die Verteidigung. Am Abend dieses Tages schlug das erste feindliche Artilleriegeschoss in Werlte ein. Die Artillerietätigkeit dauerte bis zum anderen Morgen. Schon um 6:30 Uhr erreichten die Panzerspitzen mit aufgesessener Infanterie den Ortseingang. Dort wurden sie von deutschen Truppen aufgehalten. Heftiges Abwehrfeuer setzte ein, und von den vier herannahenden Panzern wurden drei abgeschossen. Der Feind zog nun Verstärkung heran.
Eine stark gesicherte Panzersperre am Bahnhof war aber dann das erste Hindernis für die nachfolgenden Panzer. Hier, in der Nähe des Bahnhofsgeländes und in den angrenzenden Wäldern, entspannen sich heftige Kämpfe. Auf beiden Seiten gab es erhebliche Verluste. Das Gefecht zog sich dann den ganzen Morgen hin. In den frühesten Morgenstunden besetzten deutsche SS- Beobachter den Turm unserer Pfarrkirche. Obgleich unser Pfarrer die Beobachter bat, statt des Kirchturms doch den Schulturm zu benutzen, erklärte der Oberst, er sei verpflichtet, den herannahenden Feind genau zu beobachten und der Schulturm sei für diesen Zweck zu niedrig. Aus diesem Grunde wurde der Kirchturm ein Ziel der feindlichen Geschosse. Gleich nach dem Durchbruch der feindlichen Panzer durch die erste Panzersperre lenkten diese das Feuer auf den Kirchturm.
Schon bald zerstörte ein Volltreffer den Beobachtungsstand im Turm. Heraufgeschlepptes Stroh, das als Schlafunterlage benutzt worden war, entzündete sich und verwandelte den Kirchturm in kürzester Zeit in ein Flammenmeer. Die Turmuhr bleib auf 10:30 Uhr stehen. Nach kurzer Zeit stürzte das Balkengerüst des Turmhelmes zusammen. Damit schien das Feuer erloschen zu sein. Der Feind rückte weiter vor. Bis zur Mittagsstunde wurden die deutschen SS – und Fallschirmjägereinheiten kämpfend bis zur Ortsmitte zurückgedrängt. Hier wiederum entwickelten sich heftige Kämpfe, denn auf deutscher Seite hatte man Barrikaden errichtet, um den Feind nochmals aufzuhalten. Als sich Werlter Einwohner, die sich im Luftschutzkeller der Firma A. Imsiecke aufgehalten hatten, nach dem Geschehen umsehen wollten, erlitt der Schmiedemeister Hermann Grave einen Herzschlag. Am Nachmittag wurde durch deutsche SS-Soldaten auch noch das Innere der Kirche mit drei Phosphorbomben in Brand gesteckt. Nicht einmal das Allerheiligste konnte in Sicherheit gebracht werden. Das in der Nähe liegende Pfarrhaus rettete unser Pfarrer Windus durch tatkräftiges Löschen. Zur gleichen Zeit spielten sich auch auf dem Fuhlerhook heftige Kämpfe ab, wobei hohe Verluste und große Verwüstungen entstanden.
Gegen Abend loderten immer noch helle Flammen aus den zerborstenen Fenstern unserer Pfarrkirche. Wehmütigen Herzens schauten Werlter Einwohner aus ihren in der Nähe des Dorfes errichteten Deckungsgräben dem Brande zu.
In der Nacht beschränkte sich der Feind auf Artillerietätigkeit, der Häuserkampf ruhte. In den frühen Morgenstunden jedoch setzte der Feind, es war der 11. April, erneut zum Vorstoß durch Werlte an. Unter schweren Straßenkämpfen drangen die kanadischen Panzerspitzen und Infanterieeinheiten bis zur Knüve und zur Loruper Straße vor. Ein Haus nach dem anderen fiel dem Feuer der feindlichen Granatwerfer oder den Brandbomben zum Opfer. An diesem Tage hatte Werlte auch erhebliche Verluste unter den Zivilpersonen zu beklagen.
Die Schülerin Irmgard Erken wurde beim Verlassen des Bunkers durch eine Kugel getroffen. Kanadische Soldaten brachten sie zur nächstgelegenen Rote-Kreuz-Stelle bei Kramer in der Poststraße, in der ein englischer Arzt sie in Behandlung nahm. Doch die Verwundung war so stark, dass sie kurz darauf starb.
Von vielen Einwohnern, die sich in der Nähe von Rastdorf aufhielten, wurden Scheunen und Schafkowen als Zufluchtsstätten aufgesucht. Werlte hatte schwer unter der nun einsetzenden Säuberung zu leiden. Dabei fiel Johanna Tormann einer feindlichen Kugel zum Opfer. Der Volkssturmwächter Anton König wurde bei der Erfüllung seiner Aufgaben ebenfalls von einem Geschoß tödlich getroffen.
Nach der Eroberung und Besetzung setzte nun die Plünderung der Häuser ein. Da es in Werlte noch viel Alkohol gab, sprachen die Kanadier diesem reichlich zu. Viele von ihnen wüteten so, als ob sie sich ihrer Handlungen kaum bewusst seien. Zahllose Häuser wurden von ihnen in Brand gesteckt, andere durchsuchten sie nach Waffen oder Wertgegenständen. Abgeschlossene Schränke brachen sie auf und rissen alles heraus; Wäsche , Schuhe, Bücher, Lebensmittel, alles lag durcheinander. Möglicherweise haben russische Zivilarbeiter- und arbeiterinnen an den Ausschreitungen teilgenommen. Von Donnerstag, den 12. April, kehrten die Bewohner von Werlte allmählich in den Ort zurück. Jedoch kamen an diesem Tag noch Ausschreitungen der Soldaten vor. Mehrere Häuser, die bisher noch verschont geblieben waren, wurden in Brand gesetzt.
Bürgermeister Plaggenborg konnte schon wenige Tage später wieder auf Anordnung der englischen Kommandantur in sein Amt eintreten. Jetzt mussten die Anordnungen und Vorschriften der Besatzungstruppe befolgt werden. Waffen und Fotoapparate mussten beim Bürgermeister abgeliefert werden.
Ende April wurde die kanadische Besatzung durch eine polnische Besatzung, jedoch mit englischer Kommandantur, abgelöst. Die Polen betrugen sich gegenüber der Werlter Bevölkerung sehr zurückhaltend. Übergriffe, wie sie von den Kanadiern gegenüber Männern, Frauen und Kinder zahllos erfolgt waren, unterblieben.
In den ersten Maitagen setzte allmählich ein Strom von zurückflutenden Ausländern ein. Es waren meist Polen und Russen. Die Ortschaften Spahn und Neuvrees mussten vollkommen für polnische Zivilpersonen geräumt werden. In Werlte fürchtete man, auch von dem Übel einer länger dauernden Besatzung betroffen zu werden. Am Sonntag, den 27.März rollten Hunderte von Panzern von Lorup über Werlte nach Sögel. Angeblich waren diese dazu bestimmt, kommunistische Unruhen in den westlichen Ländern zu unterdrücken. Viele zurück gewanderte Evakuierte bewegten sich auf den Straßen unseres Kreises. Sie waren froh, wieder in ihre Heimat zurückkehren zu können. Das Leben und Treiben lief allmählich wieder in normalen Bahnen ab. Die Schulen des Kreises wurden allerdings erst im folgenden Jahr wieder für den Unterricht freigegeben. Viele Flüchtlinge aus Schlesien und Pommern wurden in Werlte angesiedelt.
Dadurch stieg die Zahl der Bevölkerung auf 3.038. Hoffentlich blüht auch den Flüchtlingen bald wieder das Glück, in ihre alte Heimat zurückkehren zu können.
Nach der neuesten Statistik hat Werlte jetzt 3.038 Einwohner. Zu diesen zählen 696 Flüchtlinge und 219 Evakuierte. Die Zahl der Gefallenen im Kriege beläuft sich auf 125. Vermisst und Verschollen sind 22.

In den Kampftagen um Werlte starben folgende deutsche Soldaten:
Herbert Mastal, geb. am 22.06.1925
Fahnenjunker Emil Schmalz, geb. am 23.09.1906 in Neviges
Obersturmmann Erich Otten, geb.am 13.11.1919 in Markusdorf
Unteroffizier Karl Owesny, geb. am 12.06.1920
ein unbekannter Soldat
Soldat Rudolf Schmidt, Nr. 1009/20
Gefreiter Franz Dutzler, geb. am 20.01.1924